Sonntag, 15. Juli 2007

Nazis nicht ignorieren (von tueinfo.de.am)

keinbock Ein paar Bemerkungen zum oft anempfohlenen Konzept des aktiven Weg-Ignorierens von Nazi-Aufmärschen.

„Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.“
Umberto Eco

Immer wieder bekommen aktive AntifaschistInnen aus ihrem persönlichen Umfeld zu hören, dass Neonazis überhaupt, aber besonders ihre Aufmärsche doch am besten (weg)ignoriert werden sollten. Begründung ist, dass sie somit weniger Öffentlichkeit (Presse) erreichen könnten und sich weniger bestätigt fühlen würden. Dieser Vorschlag stammt meist von Personen, die einer Nazi-Sympathie unverdächtig sind. Ja, bis in die antifaschistischen Reihen hinein hört man immer wieder solche Überlegungen. So sprach auch der Journalist und Antifa-Autor Burkhard Schröder polemisch und verächtlich von einer „strenggläubigen Naziaufmarschverhinderungsantifa“.
Von anderer Seite (z.B. von den CDU/CSU-Bürgermeister, aber auch SPD-Bürgermeistern der Aufmarsch-Orte) wiederum kommen solche Vorschläge aber eher um das Image zu bewahren, also negative Presse zu vermeiden, und um eine Blamage nicht allzu offenkundig erscheinen zu lassen.
Der Vorschlag des Wegignorierens blendet aber völlig aus, dass es praktische Gründe gibt gegen eine Nazi-Demonstration zu protestieren, die über eine symbolhaftes Ablehnung-zeigen hinausgehen.

1. Von einer Ansammlung von Neonazis geht immer eine massive Bedrohung und Einschüchterung für deren Feindbilder (MigrantInnen, Linke, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle etc.) aus. Von den Hasspredigern der Szene noch aufgeheizt besteht beständig die Gefahr, dass sich aus einer Nazi-Demo heraus rassistische Übergriffe auf Personen oder Angriffe auf Gebäude (z.B. Synagogen) ereignen.
Sich in einer solchen auf die Polizei verlassen zu wollen, sofern diese in ausreichendem Maß überhaupt vertreten ist, ist hochgradig naiv. Das beweisen zahllose Beispiele, wo die Polizei sich vor Ort auch im aktiven Wegignorieren übte.
Nur ein, die Nazi-Demo „begleitender“ zahlreicher und entschlossener, Gegenprotest kann solche Übergriffe unterbinden und abwehren. Wo ein solches Gegenpotenzial nicht vorhanden war, wie z.B. bei den Spontanaufläufen der „Autonomen Nationalisten“ in letzter Zeit, kam es zu Hetzjagden auf die üblichen Nazi-Feindbilder.
Bezeichnend ist, dass der Vorschlag des Weg-Ignorierens von Nazi-Aufmärschen zumeist von Personen gemacht werden, die keiner sichtbaren Minderheit angehören und damit persönlich nicht bedroht sind. Hier zeigt sich offensichtlich die eigene Ignoranz und Ich-Bezogenheit gegenüber der Gefahr für Andere.

2. Wenn der Nazi-Aufmarsch für die TeilnehmerInnen keine Vergnügungstour („Zuckerschlecken“) ist wird er für Sympathisanten und Noch-Nicht-Überzeugte weniger attraktiv, dass heißt der Aufmarsch beschränkt sich auf einen harten Kern.
Natürlich sollte offen erkennbaren oder an den Argumenten erkannten Neonazis auch sonstwo das Leben und Nazi-Dasein schwer gemacht werden.
So wird zwar nicht der harte Kern zur Umkehr bewegt, dieser wird sich eher einem Märtyrer-Komplex hingeben. Aber mit der braunen Ideologie Sympathisierende werden bei einer „die ganze Welt hasst euch“-Stimmung eher passiv verharren, sicht nicht outen und sich damit nicht (weiter) in die Szene abrutschen bzw. sich ideologisch verhärten, sondern eher wieder Abstand gewinnen und nehmen.

3. Durch eine ständige „Begleitung“ oder gar eine Blockierung von Neonazi-Aufmärschen oder -Ständen verhindert man, dass diese ihre Hetze in der Bevölkerung ungestört verbreiten können. In Regionen, wo es in Vergangenheit keinen oder nur ungenügend antifaschistischen Widerstand gab, konnte die Partei-Nazis bei dem Teil der BürgerInnen mit einer extrem rechten Einstellung (Umfragen nach etwa 20%) andocken und dementsprechende Stimmengewinne erzielen.
Auch wenn das rassistische Potenzial in der Mitte der Gesellschaft nicht für Wahlen oder gar für Pogrome (wie in Lichtenhagen und Hoyerswerda) aktiviert werden kann, bleibt es dennoch vorhanden.
Daher müssen antifaschistische Initiativen auch weitergehen und Vorurteile abbauen, intervenieren und kritisch analysieren.

ABER: Antifaschismus muss natürlich immer auch mehr sein als nur dass Ver- und Behindern von Nazi-Aufmärschen, letztlich muss an den Ausgangsbedingungen der Gesellschaft (Kapitalismus, Kollektividentitäten, Grenzen) gesägt werden, die diese braunen Zustände gebären.

Letztes Update ( Friday, 13 July 2007 )

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